Auf den Spuren von Heinrich Heine
Die diesjährige Herbst-Wanderreise des Wachtberger Wander-Vereins fand als Harzwanderung vom 13. bis 16. Oktober 2016 statt. Die Stadt Wernigerode, am Nordrand des Harzes gelegen, war unser Standort. Ihr wurde vom Heidedichter Hermann Löns der Beiname "Bunte Stadt am Harz" verliehen, und dies zu Recht, wie wir feststellen konnten.
Wir waren eine überschaubare Gruppe von fünf Frauen und einem Mann (dem Autor, Werner Butscher, Schwager von Klaus Born, schon mehrmals Gast bei Wanderfahrten). Unser Hotel war das schöne Harzer Kultur & Kongresshotel, eine gute Wahl.
Wernigerode kann als Schwester der nahen Stadt Goslar angesehen werden, die sich jedoch als andersartige Schönheit präsentiert: es dominieren dort prächtige alte Häuser, verziert mit kunstvollen Mustern aus Schieferplatten und man besitzt eine Kaiserpfalz. Goslar war durch fast 1000 Jahre währenden Silberbergbau sehr reich geworden. Wernigerode hat viele, auch bunte Fachwerkhäuser. Man hatte sich zwar auch im Bergbau versucht, aber ohne durchschlagenden Erfolg.
Nach dem Eintreffen im Hotel am frühen Nachmittag und einem Begrüßungskaffee starteten wir unser langes Wanderwochenende mit einer Stadtführung, leider bei ungemütlichen Temperaturen und etwas Nieselregen. Unser Führer hatte jedoch Verständnis und gestaltete die Tour deshalb etwas "kompakter" als normal, aber dennoch hinreichend lehrreich. Wer den Ort bereits kurz nach der Wende besucht hatte, kann erstaunt feststellen, wie sich die Stadt herausgeputzt hat. Mehrere Hundert denkmalgeschützter Häuser blieben erhalten oder wurden durch sorgfältige Renovierung vor dem Zerfall bewahrt. Die DDR ging bekanntlich nicht zimperlich mit der "bürgerlichen" Vergangenheit um, noch weniger mit der "adligen". Hinzu kam die Mangelwirtschaft. Wir lernten bei der Führung, dass man zur DDR Zeit zur Devisenbeschaffung sogar die alten Pflastersteine nach Westdeutschland zur Gestaltung der dortigen Fußgängerzonen verkaufte. Nach der Wende wurde dies wieder korrigiert, um dem mittelalterlichen Aussehen wieder zu entsprechen. Die Innenstadt mit ihren schönen restaurierten Fachwerkhäusern verdient auch heute wieder die Bezeichnung von Hermann Löns.
Zur früheren Geschichte:
Wernigerode wurde erstmals 1121 erwähnt und vom Grafen von Wernigerode bereits 1220 das Stadtrecht verliehen. Der Anführer der ersten Siedler soll ein gewisser "Wernr" gewesen sein, und der Anhang "rode" bedeutet, dass Rodungen zum Bau der Stadt erfolgten.
Auf einer Höhe von 100 Metern oberhalb der Stadt liegt das Wernigeröder Schloss, dessen Ursprung schon bis zu den Anfängen des 12. Jahrhunderts zurückreicht und im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut wurde. Heute präsentiert es sich im Neugotischen Stil. Ein Graf Adalbert und seine Nachkommen übten dort ihre Herrschafts- und Besitzrechte aus. Von der DDR wurden die zuletzt dort residierenden Fürsten zu Stolberg-Wernigerode enteignet und das Schloss dient heute als Museum.
Die Fußgängerzone entspricht auch heute noch dem Eindruck den Hermann Löns von der Stadt seinerzeit hatte. (Abb. 1). Man kann alle Spielarten des Fachwerks bewundern. Unter den hervorstechenden Gebäuden sei das berühmte Rathaus (Abb. 2) genannt. Es wurde erstmals 1277 erwähnt, damals existierte nur der massive Unterbau; im Jahre 1492 entstand dann durch eine Aufstockung durch Fachwerk ein Festsaal, der durch eine Freitreppe betreten werden konnte. Heute ist dieses Rathaus sehr beliebt für Trauungen, es gibt lange Wartelisten von Heiratswilligen.
Im Keller befindet sich der Ratskeller, in den wir nach der Führung durchgefroren zum Abendessen "flüchteten", einige brauchten zum Aufwärmen zunächst einen Glühwein. Bemerkenswert ist auch das "Schiefe Haus" (Abb. 3), die ehemalige Teichmühle. Wegen einer teilweisen Unterspülung durch den unterirdischen Mühlgraben hat sich das Haus im Laufe der Jahrhunderte gesenkt. Es dient heute als Sitz eines Vereins. Man darf nicht vergessen, dass man die geringe Zerstörung der Altstadt im Jahre 1945 auch dem damaligen Stadtkommandanten zu verdanken hat, der sich weigerte, die Stadt gegen die Amerikaner zu verteidigen, und sie auf diese Weise vor einer Zerstörung gerettet hat. Er wurde als Konsequenz von den Nazis wegen Befehlsverweigerung hingerichtet.
Die Harzer Schmalspurbahn:
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts fährt die Harzer Schmalspurbahn mit Dampfloks (Abb. 4) auf insgesamt 140 km Länge durch den Harz. Ab Wernigerode als Harzquerbahn bis ins Thüringische Nordhausen und nach Quedlinburg. Die Teilstrecke "Brockenbahn" wird in den Sommermonaten gefahren und ist schon seit dem Jahre 1898 in Betrieb. Die älteste Lok aus dem Jahre 1897 wird noch heute für Sonderfahrten eingesetzt. Bis zum Gipfel überwindet die Brockenbahn ab Wernigerode ca. 900 Höhenmeter bis knapp unter den Brockengipfel (1.140 m Seehöhe). Dies ist der höchste Bahnhof Deutschlands einer Schmalspurbahn.
Die DDR hatte diese Strecke stillgelegt, weil der Brocken als militärisches Sperrgebiet fest in russischer Hand war, als idealer Horchposten. Erst nach dem Mauerfall wurde die Stecke wieder eröffnet, nachdem Loks und Wagen - besonders durch den tatkräftigen und selbstlosen Einsatz von engagierten Eisenbahnfans - überholt und wieder verkehrstüchtig gemacht wurden.
Erster Wandertag:
(von Drei Annen Hohne durch das Zillierbachtal über den Kaiserturm nach Wernigerode, sowie eine Besichtigung der Stadt Quedlinburg)
1.) Die Wanderung Drei Annen Hohne Wernigerode:
Unsere Wanderung startete morgens in Wernigerode mit der Dampf-Schmalspurbahn in Richtung Brocken. Die Loks und Wagen stammen mindestens aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Lediglich die Sitze sind gepolstert und keine reine "Holzklasse" wie früher. Auch die Fahrkarten aus Pappe erinnern an alte Zeiten: es wird wie früher ein Loch gezwickt. (Dem Autor fiel hierzu ein uralter Witz aus seine Jugendzeit ein, weshalb die Fahrkarten gelocht werden müssen, die Älteren werden ihn kennen).
Auf 540 Metern Höhe, bei der Station Drei Annen Hohne, verließen wir die Bahn, um die Wanderung zurück nach Wernigerode zu beginnen. Die Bahnstrecke teilt sich hier, einmal zur Weiterfahrt nach Nordhausen (Harzquerbahn), sowie zum steilen Aufstieg auf den Brockengipfel. Zuvor wird die Lok noch einmal mit Wasser "betankt", denn Wasserdampf ist das treibende Element und der Aufstieg erfordert sehr viel Kraft.
Der Wanderweg zurück nach Wernigerode ist im Wesentlichen ein bequemer Abstieg, etwa 13 km lang, insgesamt ca. 470 Meter Abstieg und nur 170 Meter Aufstieg. Der Wanderweg führt durch dichte Nadel- und Laubwälderm durch das Zillierbachtal, am gleichnamigen Stausee vorbei, mit seiner 45 Meter hohen Staumauer, erbaut vor dem Krieg zum Hochwasserschutz und Trinkwasserversorgung. Nach dem Stausee kommt ein kleiner Aufstieg und über den Försterplatz erreicht man den Kaiserturm (Abb. 5). Da es neblig war und keine gute Aussicht zu erwarten war, sind wir kurz vor dem Turm an der Gaststätte Armeleuteberg in Richtung Wernigerode abgebogen und haben bald danach unser Ziel erreicht. Der Streckenverlauf dieser Tour ist in Abb. 6 dargestellt.
2.) Ausflug nach Quedlinburg:
Da die Wandertour am Morgen doch recht kurz war, kam der Wunsch auf, am Nachmittag noch die Stadt Quedlinburg zu besuchen, ein UNESCO Weltkulturerbe, etwa 30 km östlich von Wernigerode gelegen.
Diese einstige Königspfalz und Mitglied der Hanse ist eine reizvolle, über 1000-jährige mittelalterliche Stadt mit winkligen Gassen und weiträumigem Marktplatz, umsäumt von Fachwerkhäusern (Abb. 7). Auf einem massigen Sandsteinfelsen, dem Burgberg, thront neben der Burg die romanische St. Servatiuskirche (Abb. 8).
Zu Füßen des Burgbergs soll der Sachsenherzog Heinrich im Jahre 919 die Königskrone empfangen haben. Quedlinburg wurde zu einem wichtigen Zentrum der Reichspolitik. Heinrich I. wurde 936 hier beigesetzt. An der Grabstätte gründete Königin Mathilde, seine Frau, ein Damenstift, das fast 900 Jahre bestand. In der Stiftskirche befindet sich der berühmte Domschatz, dessen Kostbarkeiten den Glanz des Ottonischen Kaiserreiches widerspiegeln. (Otto I. war der Sohn von Heinrich I. und Mathilde; er wurde 963 Deutscher Kaiser).
Wer unmittelbar nach der Wende die Stadt besuchte, war erschüttert, in welch desolatem Zustand die alten Häuser waren. Die DDR hatte weder Interesse noch Geld, die wertvolle historische Bausubstanz zu erhalten. Um nach der Wende den befürchteten Abriss der beschädigten alten Bausubstanz zu verhindern, und sie nicht gesichts- und geschichtslosen Neubauten zu opfern, wurden ab 1990 "Hilferufe" an staatliche und private Institutionen verschickt, die dann auch im Rahmen von "Aufbau Ost" positive Resonanz fanden. Manche Häuser waren jedoch leider nicht mehr zu retten, doch viele wurden wieder kostenintensiv saniert. Es gibt immerhin noch etwa 1000 denkmalgeschützte Häuser, die meisten restauriert. Aus heutiger Sicht ist die sorgfältige Sanierung der alten Fachwerkhäuser gelungen. Die Abb. 9 und Abb. 10 vermitteln einen Eindruck der Situation um 1990, der damals großflächig anzutreffen war.
Beim Domschatz kann man noch nachtragen, dass er am Ende des Krieges von einem kunstliebenden amerikanischen Oberst gestohlen wurde, obwohl er in einem Stollen von amerikanischen Soldaten bewacht wurde. Der Dieb schickte ihn sogar mit regulärer Post(!), zu seinem Wohnort nach Texas.
Das ZDF zeigte vor einigen Jahren eine Dokumentation, in der beschrieben wurde, wie es einem Kunstkenner nach 1990 gelang, den Schatz im Tresor einer US Bank zu lokalisieren. Der kunstliebende Dieb starb 1980, jedoch die Nachkommen waren weniger an Kunst als an Geld interessiert und versuchten, die wertvollen Stücke auf dem Sammlermarkt zu verkaufen. Diese Spur führte zu den verkaufswilligen, aber öffentlichkeitsscheuen Nachkommen des Diebes. Ein echter Kunstkrimi, dessen gutes Ende letztlich nur dem unermüdlichen Suchen einer einzigen engagierten Person mit kriminalistischem Spürsinn zu verdanken ist.
Zweiter Wandertag:
(auf dem Heinrich-Heine-Weg durch das Ilsetal und zurück nach Ilsenburg auf dem Klippenweg).
Ein sehr beliebter Wanderweg führt vom Städtchen Ilsenburg auf den Brocken, zunächst entlang dem Fluss Ilse. Es gibt viele Wanderwege im Harz, aber dies ist einer der schönsten. Heinrich Heine (ein Rheinländer) war bekanntlich einer unserer berühmten deutschen Dichter, die sich für demokratische Freiheiten im frühen 19. Jahrhundert engagiert hatten und sich nur durch eine Flucht nach Frankreich vor der Verfolgung durch reaktionäre Kräfte retten konnte. Im Jahre 1824 besuchte er den Harz und ist unter anderen auf diesem Weg zum Brocken gewandert. Er schrieb später den Reisebericht "Harzreise". Der nach ihm benannte "Heinrich-Heine-Weg" ist ein Rundwanderweg über den Brocken, der insgesamt 26 km lang ist. Der Weg ist nicht einfach: 800 Höhenmeter sind zu überwinden mit im letzten Abschnitt stellenweise 15% Steigung.
Wir sind jedoch nicht diesen großen Rundweg gewandert, sondern zunächst nur entlang des ersten Teilstücks dieses Weges, ausgehend vom Parkplatz des "Nationalpark Harz ". Die Ilse ist in diesem Abschnitt ein ungebändigter Wildfluss, in einem engen Tal mit urwüchsigen Buchenwäldern und schroffen Felsformationen. Umgestürzte Baumstämme bleiben meist liegen, um den Charakter dieses Wildflusses zu bewahren (Abb. 11). Zu Erinnerung an Heinrich Heine wurden an verschiedenen Abschnitten Tafeln mit Auszügen aus seinem Reisebericht aufgestellt (Abb. 12). Auch befindet sich ein Heinrich Heine Denkmal auf dieser Strecke.
Bei der "Bremer Hütte" hatten wir schließlich ca. 600 Höhenmeter erreicht, mehr als 400 Meter über dem Ausgangspunkt Ilsenburg. Von hier aus hätte man eine schöne Sicht auf den Brocken haben können, aber leider war er (wie so oft) in Nebel gehüllt. Wichtiger war uns jedoch, dass - im Gegensatz zum vorigen Tag- es trotz Nebels auf dem Gipfel auf unserer Höhe ein Tag mit bestem Wetter war.
Wir verließen nun die Ilse und den zum Brocken weiterführenden Weg und wanderten für einige Kilometer auf etwa gleicher Höhe weiter auf dem "Jagdweg" nach Osten in Richtung der Plessenburg, einer beliebten Ausflugsgaststätte. Der Weg gewährte uns durch seine Höhe beeindruckende Aussichten, tief in die Täler und zu unserem Start -und Zielort Ilsenburg. Hier kamen auch unsere Pilzkenner auf ihre Kosten.
Unterwegs durchquerten wir eine "Fotofalle" für Luchse, die im Harz wieder heimisch werden sollen. Seit Jahren läuft ein Wiederansiedlungs-Projekt und man schätzt, dass nun fast 100 Tiere wieder im Harz leben. Das wird von Biologen als ausreichend betrachtet, weil Luchse ein großes Gebiet zum Jagen brauchen. An dieser Foto-Stelle wird der Wanderer "gewarnt", dass es beim Passieren "blitzen" könnte, man also nicht vor Schreck in den Abgrund stürzt.
Unser Zwischenziel, das Waldgasthaus Plessenburg, war recht überlaufen durch Wanderer und Radfahrer, die das schöne Wetter am Samstag nutzten. Deshalb entschlossen wir uns, in Richtung Ilsenburg nach nur kurzer Pause weiterzuwandern. Nun auf der Höhe der Klippen, die bis zu 170 Meter senkrecht über das Ilsetal aufragen. Zunächst führt der Weg an den Paternosterklippen vorbei, wieder mit schönen Blicken ins Tal, dann zum Ilsestein. Von dort hat man einen wunderbaren Blick in die Tiefe des Ilsetals (Abb. 13), auf die sich bereits langsam färbenden Laubbäume, sowie in die Ferne bis zum Brocken (wenn er mal nicht im Nebel ist). Die sehr "luftige" Aussichtsstelle hat gerade mal für "vier Füße Platz" (Zitat Heinrich Heine) und man muss schwindelfrei sein und es darf auch nicht sehr windig sein. Goethe war übrigens auch hier (wo war der nicht?).
Eine positive Überraschung, nicht weit vom Felsen, war das Waldgasthaus Ilsestein, ein schnuckliges Holzhaus auf knapp 500 m Höhe. Auf bequemen Bänken konnten wir nun doch noch, geruhsamer als bei der überfüllten Plessenburg, eine kleine Pause mit Kaffee und gutem Kuchen genießen. Das kleine Restaurant ist nur an Wochenenden bei schönem Wetter geöffnet. Gestärkt wanderten wir dann weiter in Richtung Ilsenburg, immer tiefer in Serpentinen absteigend, bis wir schließlich wieder die Ilse und unseren Ausgangspunkt erreichten. Eine schöne Wanderung war zu Ende gegangen. Der Verlauf der Tour ist der Abb. 14 zu entnehmen.
Der Autor dieses Berichts (Werner Butscher) fuhr danach direkt nach Hause (Hannover, Familienverpflichtungen), die restliche Gruppe blieb noch eine Nacht in Wernigerode und machte am nächsten Tag bei der Heimfahrt noch Stopps in Goslar und/oder Göttingen. Dies waren gute Ergänzungen als Abschluss einer gelungenen Harzwanderung. Es war eine schöne Zeit als einziger Mann unter fünf netten Damen.
Als Zugabe soll noch auf ein interessantes Phänomen hingewiesen werden, das wir leider nicht gesehen haben, weil wir nicht zu den für den Harz typischen Felsen aufgestiegen sind: Verwitterungen mit dem Namen "Wollsack Verwitterung". Das Foto in Abb. 15 ist selbsterklärend, woher dieser Name kommt. Man findet dies bei vielen Felsen im Harz.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich (auch im Namen meiner Frau Edith) für die jahrelange Gastfreundschaft des Wachtberger Wander-Vereins zu bedanken. Edith konnte wegen Enkelverpflichtungen leider nicht mitkommen. Opas sind etwas abkömmlicher.
Dr. Werner Butscher